Kultur

Ersan Mondtag inszeniert “I am a problem“ im MMK 2

Im Magen-Darm-Trakt von Maria Callas


(Quelle: Mario Graß)
Ersan Mondtag
(Quelle: Stefan Maurer)
GDN - In Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag präsentiert das Museum für Moderne Kunst (Frankfurt am Main) ausgewählte Werke seiner Sammlung in Form einer eindrucksvollen Verbindung von Ausstellung und Darstellung.
Elaine Sturtevant: Gonzalez Torres Untitled
Quelle: Axel Schneider
Wer derzeit die Ausstellungsräume des MMK2 (Frankfurt a. Main) besucht, betritt nicht den gewohnten White Cube, sondern einen mit gelbem und schwarzem Plastik ausgekleideten dunklen Raum, der eher an eine Theaterbühne als an ein Museum erinnert - ein yellow und black cube. Durch den Raum zieht sich eine überdimensionale, teils begehbare, wurmartige Struktur. Spots machen die ausgestellten Kunstwerke sichtbar, zwischen denen flüsternde Stimmen wahrnehmbar sind.
Will Benedict: Comparison Leads to Violence
Quelle: Mario Graß
“Wer sich mit anderen vergleicht, zwingt den anderen den Vergleich auf, wer sich optimieren will, zwingt andere dazu, sich schlechter zu fühlen“, ist aus einem der Lautsprecher zu hören. Es sind die ausgestellten Werke, deren Stimmen, die sich miteinander streiten und über existenzielle Themen diskutieren, zu vernehmen sind. “Ein Kunstwerk ist nicht unbelebt. Es hat eine Stimme - es hat eine Haltung. Die Herausforderung war, einen Raum zu bauen, die Werke zu platzieren und zum Sprechen zu bringen“, erläutert Ersan Mondtag bei der Eröffnung der von ihm inszenierten Ausstellung.
Ersan Mondtag in den Ausstellungsräumen
Quelle: Mario Graß
“Für diese Ausstellung definiere ich den Raum des MMK2 völlig neu. Ich gebe dem Raum selbst eine Erzählung, eine ausgefeilte Biografie, indem ich ihn mit Texten auflade“, beschreibt Ersan Mondtag seine Herangehensweise. Indem er den Kunstwerken eine Stimme verleiht, lässt er diese zu Darstellern ihrer eigenen Sehnsüchte und Ängste werden. Die Texte wurden vom Autor und Dramaturgen Thomaspeter Goergen verfasst und von Ensemblemitgliedern des Hamburger Thalia Theaters eingesprochen.
Nachdem sich das Museum für Moderne Kunst Frankfurt in den vergangenen Jahren wiederholt künstlerischen Ausdrucksformen jenseits der bildenden Kunst zugewendet hat, wurde nun gemeinsam mit Ersan Mondtag eine sehenswerte Ausstellung entwickelt, die gezielt den Transitraum zwischen bildender Kunst und Theater in den Fokus rückt. Am Freitagvormittag stellten der kommissarische Direktor des MMK, Peter Gorschlüter, der Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Dr. Helmut Müller und Ersan Mondtag die Ausstellung vor.

In Zeiten von grotesker Selbstoptimierung, wie sie durch Selfie-Hype, Superfood, Schönheits-OPs oder Fitnesswahn erkennbar wird, und allgegenwärtigem Leistungsdruck stellen sich Fragen: Warum sind wir dem Anschein nach unzufrieden mit unserem Leben? Warum halten wir uns für ungenügend? Kurz: Was ist eigentlich unser Problem?
Die Ausstellung “I AM A PROBLEM“ zeigt die Vielfalt aktueller Identitätsentwürfe in unserer Gesellschaft und thematisiert, wie der Titel andeutet, auch die Schattenseiten der Selbstoptimierungs-Ideologie.
Den Ausgangspunkt für Mondtags Inszenierung bildet ein Mythos um die Opernsängerin Maria Callas. Der Legende nach soll die Diva sich, um ihre Traumfigur zu erreichen, einen Bandwurm einverleibt haben. Stilsicher habe sie sich den Parasiten mit einem Glas Champagner hinuntergespült und sei innerhalb weniger Wochen mit einem erstaunlichen Gewichtsverlust belohnt worden. Callas eiserner Optimierungswille sowie die Geschichte um ihre groteske Diät bilden das Grundmotiv der Ausstellung.
Ersan Modtag erläuterte auf der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung, warum ihn dieser Mythos inspiriert hat: “Man muss sich das vorstellen. Da wächst ein Lebewesen im eigenen Körper! Und dies zum Zweck, sich selbst zu optimieren. Doch dabei zerstört man gleichzeitig seinen Körper. Das ist ein ungeheuer gewaltsamer Akt, der mich fasziniert hat.“
Ersan Mondtag
Quelle: Thomas Schröder
Ersan Mondtag arbeitet zwischen den Feldern Theater, Tanz, Musik, Performance und Installation. Seine Inszenierungen entfalten sich oftmals als assoziative Bild- und Geräuschwelten, in deren Mittelpunkt der Mensch mit seinen Sehnsüchten, Abgründen und Leidenschaften steht. Dank seiner visuell überbordenden und kontrovers diskutierten Inszenierungen gilt Mondtag als einer der meist beachteten Regisseure im deutschsprachigen Raum und wurde vom Fachmagazin “Theater heute“ zum Nachwuchsregisseur des Jahres 2016 gekürt.
Im Magen-Darm-Trakt von Maria Callas
Quelle: Mario Graß
Für die Ausstellung “I am a problem“ verwandelt Mondtag die Räume des MMK 2 in eine Bühne, welche die Besucher in eine düstere und zugleich aufreizende Parallelwelt entführt. Ein stilisierter Bandwurm - entwickelt von der Künstlergruppe Plastique Fantastique - nimmt die Besucher mit auf eine Reise durch den Magen-Darm-Trakt von Maria Callas und entlang Mondtags szenischem Parcours begegnen sie wiederholt der geisterhaften Präsenz der legendären Sängerin, stoßen auf wurmartige Raumelemente, die sich durch die Ausstellung winden, und werden schließlich selbst zu Parasiten, wenn sie in einen dunklen Tunnelgang eintreten.
Ausstellungsansicht/exhibition view
Quelle: Axel Schneider
Das faszinierende an der Ausstellung “I am a problem“ ist die Verbindung von Ausstellung und Darstellung. Während der Zuschauer im Theater Menschen betrachtet, die sich auf einer Bühne bewegen, geht der Museumsbesucher in aller Regel auf ein bewegungsloses Objekt zu. Der Ausstellungsbesucher erlebt nun in Frankfurt eine Zwischenform dieser Pole. Er betritt eine Bühne mit Lichteffekten, Soundinstallationen, Sprache und einer Dramaturgie.
Während jedoch im Theater für gewöhnlich lineare Geschichten erzählt werden, erlebt der Ausstellungsbesucher in Frankfurt isolierte, sich entspinnende Geschichten, die sich erst nach und nach in seinem Kopf verbinden. Deshalb wird jeder Besucher der Ausstellung seine individuellen Erfahrungen machen und das Wahrgenommene anders einordnen. “Es ist eine Ausstellung, die man selbst erleben muss“, charakterisiert der Kurator der Ausstellung, Peter Gorschlüter, treffend.
"Repair Analysis" von Kader Attia
Quelle: Mario Graß
Die inszenierten Werke reichen von Rosemarie Trockels “Frau ohne Unterleib“ über Markus Sixays knöcheltief gefüllten Konfetti-Raum “I am prepared for you“ bis hin zu jüngsten Erwerbungen des MMK, wie Will Benedicts titelgebendes Death-Metal-Video “I am a problem“. Auch die Serie "Repair Analysis" von Kader Attia ist in der Ausstellung zu sehen. Bei dem Blick in den Spiegel sieht der Betrachter sein eigenes, von Narben durchzogenes Gesicht. Die Werkgruppe spielt auf individuelle wie gesellschaftliche Wunden an, die irreparabel sind. Kadar Attia verweist auf die Bedeutung des Begriffes “Reparatur“, die nicht zwangsläufig den erlittenen Schaden unsichtbar werden lässt, sondern die Wunden zeigt, die dem Gegenstand eine neue Ästhetik verleihen.
Ausstellungsansicht/exhibition view
Quelle: Axel Schneider
Ersan Mondtags atmosphärische Inszenierung lädt die Besucher zu einer furiosen Reise durch die Hochebenen und Niederungen menschlicher Existenz ein und beweist, dass ein Museum seine Sammlung ungemein spannend präsentieren kann. Dies ist ein vielversprechender und zukunftsweisender Ansatz, in einer Zeit, in der Museen vorrangig durch spektakuläre Sonderausstellung auf sich aufmerksam machen.
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