Kultur

“The Situation“ von Yael Ronen am Maxim Gorki Theater

Suche nach einer gemeinsamen Sprache


(Quelle: © Ute Langkafel / MAIFOTO)
Yael Ronen
(Quelle: Esra Rotthoff)
GDN - Wie kann ein Zusammenleben mit Menschen, die aus Krisengebieten nach Deutschland kommen und ihre jeweiligen persönlichen Geschichten mitbringen, gestaltet werden und eine gegenseitige Verständigung erfolgen? Yael Ronen führt ihre Figuren in einem Sprachkurs in Berlin-Neukölln auf engen Raum zusammen
“Im Arabischen gibt es für den Satz `Sag, dass es nur einen Gott gibt` nur ein einziges Wort“, höre ich einen Zuschauer seinem erstaunten Sitznachbarn, während diese auf die Aufführung im Maxim Gorki Theater warten, darlegen. In der Folge erfolgt eine kulturhistorische Analyse, die zu beleuchten vermag, wie es zu diesem, aus deutscher Perspektive verblüffenden, linguistischen Phänomen kommen konnte.
Sprache kann faszinieren, verbinden und trennen. Sie kann ebenso Liebe wie auch Hass zum Ausdruck bringen, erklären oder verwirren, sowohl Missverständnisse erzeugen als auch diese auflösen und all diese Aspekte sind in Yael Ronens Stück “The Situation“ zu erleben.
Bereits der Titel stellt in seiner Kürze und Griffigkeit ein sprachliches Phänomen dar, beschreiben die Akteure auf der Bühne, die überwiegend aus dem Nahen Osten stammen, doch mit dem schlichten Begriff “The Situation“ wiederholt nicht weniger als die hochkomplexe politische Lage in ihrer Heimatregion. Auch die Ausgangssituation der Handlung stellt Sprache in das Zentrum, denn Ronen führt in ihrem Stück ihre Figuren, fern von ihrer Heimat, auf engem Raum zusammen - in einem Deutschkurs in Berlin-Neukölln.
Quelle: Ute Langkafel / MAIFOTO
Innerhalb des Kurses zeigt sich bald wie Sprache Missverständnisse sowie, beabsichtigte oder unbeabsichtigte, Verletzungen heraufzubeschwören und beim Adressat, aufgrund dessen persönlicher Biografie, Projektionen oder gar Aggressionen auszulösen vermag. Die Kursteilnehmer, die in der jüngeren Vergangenheit auf verschiedensten Wegen nach Berlin gekommen sind, tragen ihre jeweilige Geschichte mit sich und es zeigt sich schnell, dass die korrekte Anwendung der deutschen Grammatik für sie ein vergleichsweise wenig relevantes Problem darstellt.
Lehrer Stefan (Dimitrij Schaad) versucht gutherzig, naiv, gestenreich und zunehmend hilflos das vorgesehene Kursprogramm umzusetzen, doch es zeigt sich, dass es in diesem Sprachkurs, in dem zwischen den jeweiligen Landessprachen, Deutsch und Englisch munter hin- und hergesprungen wird, nicht vorrangig darum geht vorgegebene, semantisch sinnfreie Satzkonstruktionen zu erlernen, sondern vielmehr darum, eine gemeinsame Sprache zu finden.
Das Stück eröffnete die Saison 2015/16 am Maxim Gorki Theater und wurde nun, im Rahmen des Berliner Theatertreffens, erneut aufgeführt. Entwickelt hat die israelische Regisseurin und Autorin Yael Ronen das Stück gemeinsam mit den beteiligten Schauspielern, die aus Syrien, Palästina und Israel nach Berlin gekommen sind.
Im Verlauf des Stückes werden auf der reduziert gestalteten Bühne pointensicher Klischees aufgedeckt, wobei vor allem Lehrer Stefan, der überaus bemüht ist, keinerlei Gefühle bei seinem Gegenüber zu verletzen, in jedes bereitstehende Fettnäpfchen zu treten scheint und sich mit seiner Hilfsbereitschaft geradezu aufdrängt. “I want to integrate you.“
Quelle: Ute Langkafel / MAIFOTO
Die Kursteilnehmer tragen die Nationalfarben ihrer jeweiligen Herkunftsländer in ihren Kostümen, einzig Lehrer Stefan ist mit einem gelben T-Shirt, das die Farbe der Treppe, auf der sich ein überwiegender Teil des Geschehens abspielt, aufnimmt, bekleidet. Er scheint sich völlig an seine Umgebung angepasst zu haben, doch dass auch Stefan auf eine Vergangenheit als Immigrant zurückblickt, erfahren die Kursteilnehmer - und damit ebenso die Zuschauer - erst gegen Mitte des Stückes, als er in einem Monolog von seiner Kindheit in Kasachstan sowie von seinen mühsam und mit persönlichen Verletzungen verbundenen Versuchen, in Deutschland Fuß zu fassen, berichtet.
Dieses erfolgt derart detailreich, dass der überlange Monolog, den Dimitrij Schaad selbst verfasst hat, zu keinem Moment ermüdend wirkt. Ab diesem Moment beginnt sich die Geschichte der fiktiven Figur Stefan mit jener des Schauspielers Dimitrij Schaad, der tatsächlich 1985 in Kasachstan geboren wurde, zu vermischen. Ähnliches gilt für die anderen fünf Schauspieler, die bei der Erarbeitung des Stückes ebenfalls ihre jeweiligen Erfahrungen, Biografien und Sichtweisen eingebracht haben.
“The Situation“ bietet, vor allem im ersten Teil, ein überaus unterhaltsames Pointen-Feuerwerk, pendelt zwischen Komik, Kitsch, Ernsthaftigkeit, die stets leicht verdaulich dargereicht wird, und Pathos. Am Ende steht die Hoffnung, denn angesichts zahlreicher historischer Ereignisse, die trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit Realität wurden, sei letztlich auch ein Frieden in Nahost denkbar.
Zentral erscheint angesichts des aktuellen politischen und gesellschaftlichen Klimas in Europa, die Erkenntnis zu sein, dass Immigranten, aus welchem Grunde und auf welchem Wege sie auch immer nach Deutschland gekommen sein mögen, eine persönliche Geschichte mitbringen, die aus einseitiger Perspektive betrachtet, nie umfassend und wahrhaftig erfasst werden kann und vor allem, dass diese Menschen mit ihrer persönlichen Biografie ein Motor sein können, denn eine Gesellschaft, die sich abschottet und die Augen vor “dem anderen“ verschließt, wird zwangsläufig stumpf und unbeweglich.
Fraglos ist es denkbar, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft sich verständigen und zusammen leben.
Ich erinnere mich, vor vielen Jahren an einem Strand in Südafrika, das soeben die Zeit der Apartheid zu überwinden begann, mit einer Gruppe von Menschen unterschiedlichster Herkunft um ein loderndes Lagerfeuer gesessen zu haben und während unser Grillgut über den Flammen garte, teilten wir, die wir aus aller Herren Länder an diesen Sandstreifen gelangt waren, unterschiedlichsten Kulturkreisen angehörten, uns verschiedensten Religionsgemeinschaften zugehörig fühlten und teils verfeindeten Staaten entstammten, nicht nur unsere Speisen miteinander, sondern, trotz aller Sprachbarrieren, auch unsere Geschichten. Ein großartiger und besonderer Moment und die Tatsache, dass es ein besonderer Moment war, ist gleichzeitig traurig.
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